In „Dynastrees“, der ersten institutionellen Einzelausstellung der Künstlerin Zoë Claire Miller (geb. 1984, lebt und arbeitet in Berlin) sind Keramikskulpturen, eine Geruchs- und Lichtinstallation, auf Stoff gedruckte Digitalcollagen sowie „depression gardens“ – Salzkristallgärten, wie sie in den Jahren der „Great Depression” in den USA beliebt waren, zu sehen.
Die Ausstellung handelt von Bäumen und Adel sowie deren historischen und aktuellen Verknüpfungen und Rollen. Hierarchische Modelle nehmen oft Baumformen an: der Baum in der Graphentheorie, der Baum des Lebens als phylogenetischer Baum oder der genealogische Baum: der Stammbaum, der die Erbfolge dokumentiert, der für den Klassenerhalt der Aristokratie im Feudalismus so wichtig war und noch heute ist. Die Ausstellung nimmt ihren Ausgangspunkt im Arboretum, dem Garten des Künstlerhauses Palais Thurn und Taxis Bregenz, der von Wenzel Smetana (dem Hofgärtner des „Prinzen” Gustav „von” Thurn & Taxis) 1887 angelegt wurde. Zu dieser Zeit waren exotische Bäume als Distinktionsmerkmal für den Landadel sehr beliebt. Ihre Verbreitung wurde in Europa durch die kolonialen Bestrebungen europäischer Länder ermöglicht, weil sie auch eine Rolle dabei spielten, für jene kolonialen Unternehmungen zu werben. 1735 führte Carl „von“ Linné die wissenschaftliche Benennung von Pflanzen- und Tierarten (Taxonomie) ein, die binäre Nomenklatur, bestehend aus Gattungsname und Artname. Sie ist ein eurozentrisches Ordnungssystem, das indigene Pflanzennamen überschreibt und unsichtbar macht, mit dem Tiere und Pflanzen wissenschaftlich eingeordnet, kartographiert und ausgebeutet werden konnten. Die mit der Aufklärung einhergehende Klassifizierung der Natur hängt eng mit der Eroberung der Natur und Menschen anderer Kontinente zusammen, deren hierarchische Folgen die heutige Welt prägen. Wie diese Folgen die Welt heute ganz konkret prägen, konnte man zuletzt in Berlin erleben. Die Hohenzollern, deren Sprecher Friedrich Prinz „von“ Preußen (Ururenkel des letzten Deutschen „Kaisers“) ist, klagten seit 2015 gegen Berlin und Brandenburg. Es ging um Restitutionsfragen. Prinz Friedrich forderte in der DDR enteignete Immobilien und Kunstgegenstände zurück. Dabei ist eindeutig geklärt, dass Erben derjenigen, deren Vorfahren dem Nationalsozialismus „erheblichen Vorschub” geleistet haben, keinen Anspruch auf Restitution haben. Die Verwicklungen seines Urgroßvaters im Nationalsozialismus sind eindeutig belegt und nachgewiesen.
Ein Ausdruck des Versuchs, die feudale Gesellschaftsordnung wiederherzustellen, ist sicherlich auch der Bau des Berliner Schlosses, in dem die Prunkräume der Kaiserzeit ohne Probleme wieder einziehen könnten, wenn erst das Museum raus wäre. Man wisse ja nicht, was in 100 Jahren sei, so der Initiator der Schlossrekonstruktion, Wilhelm „von“ Boddien, in einem Fernsehinterview. Der Wunsch nach einer veränderten Gesellschaftsform prägt wie unsere Städte aussehen, welche Dinge gebaut werden und welche nicht. Aus diesem Interesse heraus greift Zoë Claire Miller die Adelsfamilien, die vor Ort in Bregenz prägend waren auf: Die Thurn und Taxis, die mit der Erfindung des Postsystems den Grundstock ihres Vermögens legten, sowie die Habsburger. Die Habsburger wurden im Gegensatz zu den Thurn und Taxis enteignet. „Prinz“ Gustav „von“ Thurn und Taxis ist ist nicht zu verwechseln mit seinem Namensvetter, der 1918 Mitglied der rechtsextremen Thule Gesellschaft wurde, dem Vorläufer der NSDAP. Die Thurn und Taxis sind nach wie vor sehr reich und dadurch machtvoll. Sie verfügen noch heute mit knapp 20.000 Hektar über den größten privaten Waldbesitz in Deutschland. Das wohl bekannteste Familienmitglied, Gloria, fällt immer wieder mit rassistischen und homophoben Äußerungen auf. 2019 war sie am Versuch beteiligt, einen rechten Think Tank in Italien aufzubauen, an dem auch Steve Bannon involviert war. Gleichzeitig wird in der Regenbogenpresse schwärmerisch, romantisierend über den Adel und sein Leben berichtet. Viele dieser Adeligen, die in der Regenbogenpresse umschwärmt werden, sind politisch aktiv und treten auch als Kulturmäzene in Erscheinung. Was heißt das für die Politik und die Kunst?
Zoë Claire Millers künstlerische Annäherung an diese Fragestellungen sprießt aus Motiven, die in Adelsinsignien verwurzelt sind. Schloss, Schwert, Krone, Löwe, Malteser Kreuz oder Fleur de Lis bäumen und umranken sich, verwelken. Historische Herbarbelege und Düfte stammen von den edlen Baumexemplaren im Garten, um den Verzweigungen ihrer Existenz, Geschichte und Herkunft nachzuzeichnen. Auch die Formen ihrer Blätter, Kronen, Stämme finden Eingang in Abbildungen, die genauso verästelt und unauflösbar miteinander verwachsen scheinen wie der Adel und seine immer noch salonfähigen Privilegien.
