Wer hätte noch beim Ausstellungsaufbau gedacht, dass es so kommt, wie es gekommen ist? Die Corona-Zeit zeigt uns, dass alles geplante nicht nur von uns allein abhängt. Neue Lösungen sind gefragt. So ist auch meine Ausstellung „Von den Wurzeln“, obwohl sie im Künstlerhaus derzeit aufgebaut ist, nur virtuell zu sehen. Vielleicht schafft gerade diese Corona-Ausnahmezeit ein Bewusstsein, dass wir alle auf diesem Planeten verwurzelt sind und eine neue Form des solidarischen Mit-Einanders entstehen kann.
keiner ist fremd
auf diesem planeten
irdische wurzeln sind
allen gemeinsam
wie man es auch dreht
und wendet
warum daran zweifeln?
EB 2019
Zum Thema „Wurzeln“ haben mich drei verschiedene Begebenheiten geführt.
Da war erstens ein 172 Jahre altes Schreiben im Kirchturm des Dorfes, in dem ich meine Kindheit verbracht habe, in dem steht: „In der unruhigen Zeit um 1848 lebten wir, eure Urahnen, hier in Röwersdorf, zwischen den Schlesischen Hügeln, in Freiheit und Ruhe miteinander, weit weg vom Weltgeschehen…“ Gemeint waren Tschechen, Deutsche, Juden und Polen, die hier über Jahrhunderte verwurzelt waren. Verschiedene Ereignisse wie Naturkatastrophen, Auswanderung und Vertreibung haben aber dazu geführt, dass die Bevölkerung später wesentlich dezimiert und das Dorf ein „Geisterdorf“ wurde.
Im Zyklus „Orte“ habe ich diese gewisse Leere und geringe Perspektive thematisiert.
Weiters begegne ich auf meinen Reisen immer wieder verlassenen Orten, die mich nachdenklich stimmen. Orte, die einst ein Zuhause der Ausgewanderten waren, Orte, wo sie ihre Wurzeln hatten, Orte, die sie auch aus den vorher erwähnten Gründen verlassen haben. Was heißt es, entwurzelt zu sein und welche Rolle spielt dabei die Globalisierung, der Zerfall gesellschaftlicher Hierarchien oder der Religionsverlust? Welche Rolle spielen Wurzeln bei der moralischen Verwahrlosung mancherorts und dem weltweiten bewussten oder unbewussten Zerstörungsgeist? Ist es möglich, nach traumatischen Erlebnissen Wurzeln zu behalten, respektive sich neuen, zu hinterfragenden Verwurzelungen zu öffnen?
„Verlassene Orte“ ist eine Auswahl von bearbeiteten Fotografien, die verlassene, von der Natur wiedereroberte, Orte zeigen.
Und schließlich musste „mein“ Baum gefällt werden. Die 150-jährige Rotbuche wurde von ihren Wurzeln getrennt. Nur der Baumtorso steht noch im Park, als Erinnerung und Mahnmal. In der Installation „Baum-Metamorphose“ geht es um die symbolische Entwurzelung und die Chance auf eine neue Existenz. Der mächtige Baum existiert weiter, leicht und schwebend, weit weg von seinem Ursprungsort. In der Installation „Baum Metamorphose“ zeige ich eine Baumscheibe – eine Nachbildung des Baumstamms mit 8,80 m Umfang und einem Mobile mit der Originalrinde und -Zweigen der gefällten Rotbuche. Alles schwebt im Wissen, dass die Wurzeln noch tief in der Heimaterde sind.
In dieser Ausstellung habe ich einen Teil meiner Lebensgeschichte thematisiert, als naheliegendes Beispiel zum Thema Wurzeln. Im Jahr 1968, nach der Besetzung meiner Heimat, Tschechoslowakei, war auch ich von der Migration betroffen. Mir geht es wie „meinem“ Baum. Die Hauptwurzel bleibt noch in der Heimaterde. Nur zum Unterschied zum Baum habe ich auch Beine, die mich zu neuen Verwurzelungen getragen haben. Diese sind temporär und miteinander verwoben, Empfindungen von „nicht mehr“ und „noch nicht“ aber auch von einer inneren, tragenden Verwurzelung. Meine Geschichte ist nur ein Beispiel für die vielen Zusammenhänge und stellt die Frage nach der Bedeutung der Wurzeln in einer Welt, die sich offensichtlich zunehmend auf neuen Pfaden bewegt.
Begleitend zur Ausstellung erscheint der Katalog „Von den Wurzeln“.
Dieser kann direkt bei mir bestellt werden (€ 15,00 plus Porto)
https://www.evabuchrainer.com/
_____________________________
Die Frage nach dem Grund der moralischen Verwahrlosung manchenorts und dem weltweiten bewussten oder unbewussten Zerstörungsgeist hat Eva Buchrainer auf das Thema „Wurzeln“ geführt. Verwurzelt sein heißt eine Identität zu haben, beheimatet sein, wobei Heimat eher ein inneres Bild als ein geografischer Ort verstanden wird. Ist es möglich, nach traumatischen Erlebnissen Wurzeln zu behalten? Und wo sind die Hürden der Bemühung um neue Verwurzelungen?
Eva Buchrainers Lebensgeschichte dient nur als Beispiel für die Zusammenhänge im Zeitgeschehen und stellt die Frage nach der Bedeutung der Wurzeln für die eigene Identität, für die tolerante Begegnung und Umsicht. Im Zentrum der Ausstellung steht die Installation „Baum-Metamorphose“ als Symbol für Entwurzelung aber auch für eine neue Existenz. Ein 150-jähriger Baum musste gefällt werden doch existiert er nun weiter, leicht und schwebend, weit weg von seinem Ursprungsort. Der Zyklus „Orte“ zeigt imaginäre Kompositionen von Orten mit wenig Perspektive und viel Leere. Orte, die an Bedeutung verlieren, wenn die vertrauten Menschen nicht mehr dort sind. Im Zyklus „Wurzeln“ geht es um Halt suchen und um gemeinsame Wurzeln. Die Ausstellung wird durch Zeitdokumente ergänzt. Es erscheint auch ein Katalog.
